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12.01.2023 | 09:45 | Preisabsprachen 

Milliardenschaden durch Pflanzenschutzmittel-Kartell: Sammelklage ermöglicht Rückzahlungsansprüche

Hamburg - Vor zwei Jahren deckte das Bundeskartellamt die jahrelangen rechtswidrigen Preisabsprachen von mehreren Großhändlern, darunter u. a. AGRAVIS und BayWa, erstmals auf.

Pflanzenschutzmittel-Kartell Sammelklage
(c) proplanta
unilegion rechnet mit einem Schadensvolumen in Milliardenhöhe, dennoch haben bis heute rund 80 Prozent der betroffenen Landwirte ihre Ansprüche noch nicht eingefordert. Um nun auch kleinen und mittelständischen geschädigten Betrieben zu ermöglichen, ihre etwaigen Rückzahlungsansprüche zu verfolgen, hat das unilegion Bauernbündnis Pflanzenschutz eine finanzierte Sammelklage gegen das PSM-Kartell gestartet.

Das Besondere an der Münchener Initiative ist, dass die Landwirte ohne eigenes Kostenrisiko an der Sammelklage gegen die Großhändler teilnehmen können, indem sie ihre Schadensersatzansprüche vollständig an unilegion übertragen. So tritt als Kläger vor Gericht lediglich eine von unilegion gegründete Klagegesellschaft auf, die wiederum durch die renommierte Großkanzlei Taylor Wessing vertreten wird. Damit gehen die Landwirte, da sie selbst eben nicht Kläger vor Gericht sind, weder ein finanzielles Wagnis ein, noch müssen sie selbst im Verfahren aktiv werden. Der Rechtsdienstleister unilegion selbst erhält dabei nur im Erfolgsfall eine erfolgsbasierte Kommission aus dem erzielten Erlös.

Hintergrund der Sammelklage ist das vom Bundeskartellamt aufgedeckte Bündnis aus insgesamt neun Kartellanten, gegen die bereits Anfang 2020 Bußgelder von insgesamt ca. 157 Millionen Euro verhängt wurden. Alle Beteiligten haben den Verstoß inzwischen eingeräumt. Da Kartelle üblicherweise zu überhöhten Preisen führen, ist davon auszugehen, dass allen Landwirten, die im relevanten Zeitraum Pflanzenschutzmittel erworben haben, erhebliche Rückzahlungsansprüche zustehen.

„Vielen Landwirten fehlen allerdings neben der nötigen Zeit vor allem die finanziellen Mittel für eine Einzelklage“, weiß Katharina Fröhlich, Juristin und Geschäftsführerin der unilegion Pflanzenschutz GmbH. „Wir sind jedoch der Meinung, dass alle Betroffenen die Chance dazu haben sollten, ihre Rechte gegenüber den Großhändlern ohne Einbußen einfordern zu können, unabhängig davon, wie klein oder groß der Betrieb ist – und genau das schaffen wir mit unserer Sammelklage.“

Sammelklage vs. Streitgenossenschaft: Klagemodell von unilegion bietet den Teilnehmern vollständigen Schutz vor Verfahrenskosten

Die Teilnahme an der Sammelklage von unilegion ist für Landwirte risikofrei. Alle Ansprüche werden auf die Sammelklagegesellschaft (die unilegion Pflanzenschutz GmbH) übertragen, die alle Kosten der Anspruchsdurchsetzung übernimmt und im Anschluss im eigenen Namen vor Gericht zieht. Alle Rechtsanwälte und Gutachter werden von unilegion beauftragt. Die Landwirte werden so vollständig vom Verfahren getrennt, müssen keinerlei Prozesshandlungen vornehmen und werden auch bei einem verlorenen Fall keine Kostenschuldner. Gleichwohl erhalten sie nach ihrem Teilnahmevertrag ein kollektives Mitspracherecht bei einer etwaigen (außer-)gerichtlichen Einigung mit den Kartellanten.

Demgegenüber steht das bislang zumeist für Massenklagen verwendete Modell einer Streitgenossenschaft, bei dem die Anbieter eine reine Finanzierung der Landwirte vor Gericht vornehmen – es gibt also keine Sammelklagegesellschaft, die die Ansprüche der Teilnehmer erhält und sodann als einzige Klägerin vor Gericht geht, sondern die einzelnen Landwirte werden alle jeweils Kläger vor Gericht (wodurch es dann zu einem Verfahren mit hunderten oder tausenden von Klägern kommt).

Aus dem Gesetz folgt hieraus, dass die Landwirte Kostenschuldner der Gerichtskosten werden und im Unterliegensfall auch für die gegnerischen Anwaltskosten aufkommen müssen. Daher müssen sie daraufsetzen, dass der Finanzierer in diesem Fall seine Verpflichtungen zur Kostenfreistellung der Landwirte einhalten kann (also hinreichend solvent ist) und auch tatsächlich einhält. Das Gleiche gilt für die auf Klägerseite tätigen Anwälte: Denn die Landwirte (als Kläger) müssen die vom Finanzierer ausgewählten Rechtsanwälte formell gesehen selbst beauftragen und sind auch insoweit grundsätzlich selbst zur Kostentragung verpflichtet (wiederum soweit der Finanzierer sie nicht freihält).

 „Dass andere Anbieter sich bisher für das Modell der Streitgenossenschaft entschieden haben, bei der die Landwirte selbst Kläger (und potenzielle Kostenschuldner) vor Gericht werden, liegt daran, dass im letzten Jahr noch Unsicherheit herrschte, ob die von uns betriebene Sammelklage mit Übertragung an eine Sammelklagegesellschaft in Deutschland zulässig sein wird. Allerdings hat es seither zwei grundlegende Urteile des Bundesgerichtshofs (i.S. Airdeal und Financialright) und eine Änderung des Rechtsdienstleistungsgesetzes gegeben, wonach wir nun eindeutig von einer Zulässigkeit unserer “echten” Sammelklage in Deutschland ausgehen“, begründet Fröhlich.

Bereits jetzt haben sich innerhalb weniger Monate über 1.500 geschädigte Landwirte dem Bauernbündnis angeschlossen, um ihre Rückzahlungsansprüche zu verfolgen – bis Sommer 2023 sollen es rund 3.000 werden. Eine von ihnen ist Agrar-Ingenieurin Julia Vogt-Selmayr aus Hallbergmoos bei München, die seit über 25 Jahren einen 150 Hektar großen Familienbetrieb führt. Für den Anbau von Getreide, Raps und Zuckerrüben erwarb die 53-jährige über mehrere Jahre verschiedene Pflanzenschutzmittel – für sie mit jährlich rund 20.000 Euro ein erheblicher Kostenfaktor.

 „Es kann nicht sein, dass sich die Größeren gegen die Kleineren verbünden und damit im schlimmsten Falle sogar deren Existenz bedrohen. Mir geht es vor allem um die Gerechtigkeit – für mich, aber auch für all die anderen Betroffenen, die ohne einen Rechtsdienstleister wie unilegion nicht in der Lage sind, sich zu wehren“, so Vogt-Selmayr. „Wie hoch die individuellen Rückzahlungen an die Landwirte am Ende ausfallen, kann erst nach einer eingehenden wettbewerbsökonomischen Begutachtung anhand der Rechnungsunterlagen beurteilt werden. In vergleichbaren Kartellfällen sind allerdings Rückzahlungen von bis zu 20 Prozent der über Jahre gezahlten Kaufpreise, zzgl. hoher Zinsen, möglich“, so Fröhlich. Nur wenn der Fall gewonnen wird, erhält auch unilegion eine Kostenerstattung sowie (je nach Größe des Betriebs) eine Kommission in Höhe von 21 bis 32 Prozent des erzielten Erlöses nach Abzug der Verfahrenskosten.

Die unilegion Pflanzenschutz GmbH, die hinter dem unilegion Bauernbündnis steht, ist eine deutsche Gesellschaft mit transparenter Eigentümerstruktur, die am Amtsgericht München als Rechtsdienstleister registriert ist und damit einer staatlichen Kontrolle unterliegt. Auch die Betreuung der Teilnehmer erfolgt aus München und in deutscher Sprache. Die Initiative setzt zudem auf einschlägige Experten für die Anspruchsdurchsetzung.

Die rechtliche Vertretung übernimmt das Hamburger Büro der renommierten Großkanzlei Taylor Wessing, die ökonomische Betreuung die Experten von CEG Europe. 

„Da kleinere Rechtsanwaltskanzleien naturgemäß über weniger Personal verfügen und sich oft entweder nur auf das Kartellrecht oder aber nur auf die Prozessführung spezialisieren, haben wir uns bewusst für die Beauftragung einer Großkanzlei und einer internationalen Beratungsgesellschaft entschieden. Taylor Wessing und CEG Europe verfügen über die Schlagkraft, die wir benötigen, um eine Waffengleichheit mit den ebenfalls stark aufgestellten Kartellanten sicherzustellen,“ erklärt Fröhlich. Die Anmeldung für die Teilnahme an der Sammelklage ist für Landwirte in ganz Deutschland bis auf Weiteres möglich.

Pd/PP
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